Game dich gesund: erfolgreiche Reha dank VR

Mit Hilfe von VR-Brillen und spielerischen Übungen soll die Tele-Rehabilitation von Patientinnen und Patienten attraktiver gestaltet werden. Forschende der HSLU haben zu diesem Zweck gemeinsam mit Praktikern eine digitale Plattform entwickelt.

Patient mit einer VR-Brille neben einer Pflegerin.

Ein Maulwurf springt aus verschiedenen Löchern und wird sogleich mit einer Handbewegung wieder hinuntergedrückt. Gleich darauf springt erneut ein Tier hervor. Uff – und schon wieder ist eines dieser Kerlchen aus der Hand geglitten… Natürlich nicht in echt, sondern als Online-Game: «Whack a mole» heisst das Trainingsspiel, das vor dem virtuellen Auge auf der VR-Brille läuft mit dem die Schultermuskeln und die Beweglichkeit der Arme und Hände gestärkt werden soll. An Zeige- und Ringfinger zeichnen Sensoren die Bewegungen auf. Auf der VR-Brille ist eine Kamera angebracht, die Arm- und Handbewegungen filmt und direkt ins Spielgeschehen einblendet.

Exergames heissen solche Spiele, die körperliche Aktivität und Denkaufgaben kombinieren. «Im Kontext der Tele-Reha stellen sie eine wertvolle Ergänzung in der modernen Therapie dar», erklärt Sebastian Frese, Leiter Technologie und Innovation bei Zurzach Care. Die Klinikgruppe entwickelt gemeinsam mit Forschenden des iHome Lab der Hochschule Luzern seit zweieinhalb Jahren ein neuartiges Tele-Therapie-System. Im EU-geförderten Projekt «RecoveryFun» steckt geballtes technologisches Knowhow, Big Data und KI-Wissen. Doch nicht nur dies: Der Faktor Mensch – Patientinnen und Patienten, Angehörige und Therapie-Fachpersonen – spielt ebenso eine zentrale Rolle wie bei einer klassischen Therapie vor Ort.

Gamification bringt’s

Zurück in die virtuelle Realiät: Im nächsten Exergame (ein Kofferwort, das sich aus exercise, Übung, und game, Spiel, zusammensetzt) gilt es, aus «Alpatraz» zu entkommen. Das ist ein alpin anmutendes Labyrinth, durch das die spielende Person ihre Hand möglichst zügig führen muss, ohne an Hindernissen hängen zu bleiben. Einfacher gesagt als getan… Da ein stachliger Kaktus, dort eine Sackgasse, hier ein Stein, der im Weg liegt. Dieses Manövrieren durch den alpinen Irrgarten macht ganz schön müde.

VR-Brille und Bio-Sensor am Finger: Ein Patient nutzt ein «RecoveryFun»-Spiel für die Physiotherapie in den eigenen vier Wänden.
VR-Brille und Bio-Sensor am Finger: Ein Patient nutzt ein «RecoveryFun»-Spiel für die Physiotherapie in den eigenen vier Wänden.

Sebastian Frese führt aus: «Wir entführen die Patientinnen und Patienten bewusst in virtuelle Welten, damit sie ihre oberen Extremitäten, also Arme, Schultern und Handbewegungen trainieren. Auch die kognitiven Fähigkeiten und Koordination der Bewegungen sollen mit der entwickelten Tele-Reha-Lösung gefördert werden – zum Beispiel nach Schlaganfällen.»

Aufgrund von Sensorsignalen können die Therapeutinnen und Therapeuten mittels KI-Algorithmen den subjektiven Stress und die Ermüdung der Trainierenden ableiten. Die pseudonymisierten Daten werden – für Dritte nicht dechiffrierbar – in einer gesicherten Cloud abgelegt.

Nichts mit Mogeln

Nebst diesen exotischen Spielwelten dürfen auch Klassiker wie «Memory», «Basketball» oder «Händeklatschen» nicht fehlen. Die Übungen unterscheiden sich in ihren Anforderungen und können im Schwierigkeitsgrad angepasst werden. Der Vorteil: Die Patientinnen und Patienten trainieren gut portioniert und regelmässig – dann, wenn sie Zeit und Lust haben.

Beschwindeln lässt sich das System übrigens nicht. «Via biometrischem Fingerabdruck erkennt es, dass eine Drittperson anstelle des Betroffenen trainiert hat», erklärt Prof. Dr. Andrew Paice, Leiter iHomeLab der HSLU. «Wir haben eine niederschwellige Form von körperlichen und kognitiven Übungen kreiert, die jeder an jedem beliebigen Ort durchführen kann.» Aus der Praxis weiss Paice: Ein Teil der Patientinnen und Patienten vernachlässigt das Üben, wenn es sich nicht einfach in ihren Alltag integrieren lässt. «Je einfacher das Set-up ist, desto grösser sind die Chancen, dass das Training auch daheim regelmässig stattfindet», so Paice weiter.

Einfaches Set-up – engmaschiger Austausch

Der Materialaufwand für ein Online-Training dieser Art hält sich in Grenzen: Die Klinik stellt eine VR-Brille mit Datenübertragungsgerät sowie einen Bio-Sensor am Finger bereit. Das ist die Basisausrüstung. Hinzu kommt eine App für Angehörige. Sebastian Frese von Zurzach Care erläutert: «Wir setzen stark auf diese Karte. Familie und Partner spielen eine wichtige Rolle, die betroffenen Angehörigen bei der Rehabilitation zu begleiten und zu motivieren. Auch bei übungsrelevanten technischen Fragen zur Anwendung können sie unterstützen.». Über eine mehrfach geschützte Leitung können sich die Therapeutinnen und Therapeuten aus der Ferne mit den trainierenden Patientinnen oder Patienten verbinden. Haargenau können diese die Übungen live und online verfolgen. In Echtzeit lassen sich so die Trainingseinheiten analysieren.

Laufend sehen die Fachpersonen zudem, wie genau die Übungen ausgeführt werden; die Therapiepläne können so individuell auf Fähigkeiten und Bedürfnisse der Betroffenen angepasst werden. Darüber hinaus lassen sich im Nachhinein die Übungsdurchgänge miteinander vergleichen und Empfehlungen für ergänzende Übungen erstellen. Mit dieser innovativen Therapieform verändern sich laut Sebastian Frese auch die Aufgaben der Therapeutinnen und Therapeuten: In dieser Situation sehen sie sich demnach eher als Coach. Die Interaktion über die Video-Funktion stärke gleichzeitig die persönliche Verbindung zwischen Trainierenden und den Therapeutinnen und Therapeuten.

Motivation dank Interaktion

Die zwischenmenschliche Ebene ist demnach bei der Tele-Rehabilitation ein sehr wichtiges Element. Auch deshalb wurde mit den Fachleuten der HSLU die Videofunktion ins System integriert. «Mit dieser Funktion können wir die Patientinnen und Patienten live beim Trainieren sehen und zusätzlich erkennen, wo allfällige Schwierigkeiten in der Bewegungsausführung auftreten», erklärt Frese. «Die Trainierenden selbst können sich ebenfalls viel stärker einbringen und sofort Feedback geben oder Fragen stellen.» Bei der Therapie wolle man somit ein möglichst ganzheitliches Bild gewinnen. Die Interaktions- und Kontaktmöglichkeiten hätten zudem das Potenzial, die Motivation für Trainings zu steigern.

Faktor Mensch bleibt wichtig

Die Feedbacks der Testpersonenwaren insgesamt sehr positiv – namentlich das einfache Handling der Instrumente wurde sehr gelobt, wie die Forschenden betonen. Entsprechend engagiert gingen die Teilnehmenden auch zu Werke. «Der Einstieg in die virtuelle Welt, wo die Sinneserfahrung zunächst eine andere ist, führte zu Beginn bei einigen zu Fragen wie ‹Wo finde ich jetzt meine Hand?›.» Dank der einfachen und direkten Videofunktion konnten solche Anliegen jedoch rasch und persönlich geklärt werden, berichtet Ramon Straumann, der als Projektmitarbeiter und Therapeut im Team von Sebastian Frese etliche Tele-Therapien während des Projektes begleitet hat.

«Zentral ist, dass die Patientinnen und Patienten von Beginn weg befähigt werden, die Geräte richtig einzusetzen» erläutert Straumann. Es habe sich bewährt, vor den Therapien aus der Ferne zuerst die Handhabung der Geräte bei einem physischen Termin zu erklären. Dabei gehe es auch darum, die Bedürfnisse und Fragen der Patientinnen und Patienten abzuholen und allfällige Berührungsängste abzubauen. «Denn nicht alle Patientinnen und Patienten hatte schon mit einer VR-Brille zu tun», fügt Straumann an.

Hoch willkommen: ergänzende Therapieform

Sebastian Frese ist überzeugt: «Diese Form von Tele-Reha stellt ein innovatives Versorgungsmodell dar.» Das Modell habe das Potential, die Ressourcen des Gesundheitssystems zu schonen und dank seiner zeitlichen und räumlichen Flexibilität eine bestehende Behandlungslücke zu schliessen: Als ergänzende Therapieform lässt sich der Aufwand für Patientinnen und Patienten wie auch ihre Angehörigen deutlich senken. Sie müssen weniger Zeit für Vor-Ort-Besuche in der Klinik aufwenden und können sich aufwendiges Reisen sparen. Auch für die Kliniken und Rehabilitationszentren ist der Mehrwert unübersehbar – «gerade angesichts des Fachkräftemangels im medizinischen Umfeld», erläutert Frese.

Nächstes Ziel: Transfer in den medizinischen Alltag

Insgesamt wurden in den letzten zweieinhalb Jahren rund 70 Patienten, 15 Angehörige und über 40 Fachleute in die Testreihe einbezogen. Das Resultat ist eine grosse Menge an anonymisierten Daten und Diagrammen. Daraus können Expertinnen und Experten übergeordnete Muster mittels Big-Data-Analyse ableiten. Mithilfe von KI sollen so neue personalisierte Behandlungs- und Trainingsansätze entwickelt werden, die eine noch bessere Wirksamkeit aufweisen. «Wir haben mit unserer Tele-Rehab-Plattform sowohl die technologischen Voraussetzungen wie auch den Tatbeweis in der klinischen Praxis erbracht» erklärt Andrew Paice von der HSLU. Es gelte, in einem nächsten Schritt den Transfer in den medizinischen Alltag zu schaffen – dies zusammen mit interessierten Wirtschaftspartnern.

Wer ist bei «RecoveryFun» engagiert?

Das Projekt «RecoveryFun» (Originaltitel: An integrated VR-based tele-rehabilitation platform to support RECOVERY and maintenance of FUNctional abilities among seniors) lief von Januar 2022 bis Juni 2024. Das Forschungsprogramm gehört zum Themencluster «AAL – Active Assisted Living» der Europäischen Union. Am interdisziplinären Projekt beteiligt waren nebst dem iHomeLab Praxis-Teams aus Italien (Tech4Care, INRCA), der Schweiz (ZURZACH Care), Rumänien (Canary Technology) sowie Belgien (Unmatched, Trainm).

Das iHomeLab der Hochschule Luzern – «Living in the future. Today.»

Das Team des iHomeLab der Hochschule Luzern erforscht unter der Leitung von Prof. Dr. Andrew Paice wie dank intelligenten Systemen der Energieverbrauch in Gebäuden gesenkt oder älteren Menschen ein längeres Leben ermöglicht werden kann. Die Resultate der Forschungsprojekte werden im iHomeLab Visitorcenter auf dem Campus Horw präsentiert und auf verständliche Weise erklärt. Besichtigungen sind unter www.ihomelab.ch/besuchen buchbar.

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