«Ich sah diese farbigen Fäden und wusste, damit will ich arbeiten»

Mit ihrer Abschlussarbeit begann ihre Karriere als Textildesignerin. Heute ist die HSLU-Alumna Claudia Caviezel eine Grösse in der internationalen Textilbranche. Ihr Erfolgsrezept? Keines zu haben und auf das eigene Bauchgefühl zu hören.

Claudia Caviezel

Im Treppenhaus des Kunstmuseums St. Gallen hängt ein Textilkunstwerk monumentalen Ausmasses: Aus luxuriösem Baumwollvelours, farbig und 9.6 Meter hoch sowie 4.5 Meter breit träg es eindeutig die Handschrift ihrer Erschafferin. Claudia Caviezel hat den Wandbehang eigens für das Kunstmuseum entworfen. Dafür hat sie unter anderem eine mexikanische Stickerei und ein traditionelles Siebdruckgewebe auf einem Flachbettscanner hin und her bewegt und dabei unerwartete Bildmuster generiert. Claudia Caviezel ist über die Landesgrenzen hinweg bekannt für ihre innovativen Muster- und Farbkombinationen. Ihre Arbeiten umfassen ein breites Spektrum von Haute-Couture-Stoffen über Rauminstallationen bis hin zu Alltagsgegenständen wie Taschen, Lampen oder Handtücher.

Kreativer Durchbruch dank Klebeband

Aufgewaschen ist Claudia Caviezel in den 1980er-Jahren in einem handwerklich-kreativen Elternhaus in Zug. «Bei uns zuhause war Selbermachen völlig normal», sagt Caviezel. Dennoch war aus ihrer Sicht nicht vorgezeichnet, dass aus ihr einmal eine erfolgreiche Textildesignerin werden würde. «Alle gingen davon aus, dass ich Jura studiere, da ich einen starken Gerechtigkeitssinn habe.» Doch es kam anders: Sie absolvierte die Aufnahmeprüfung für den Gestalterischen Vorkurs an der Hochschule Luzern und wurde prompt angenommen.

Für das nachfolgende Studium wählte sie die Fachrichtung Textildesign. «Ich sah diese farbigen Garne im Websaal an der Wand und wusste, damit will ich arbeiten», sagt Caviezel. Die Studienzeit an der HSLU hat sie in bester Erinnerung: «Wir waren eine super Klasse von sieben Frauen. Wir konnten uns während vier Jahren austoben und ausprobieren. Eine einmalige Spielwiese.» 2002 schloss sie mit einer unkonventionellen Abschlussarbeit namens «Tape it» ab. Die Idee dazu kam ihr im Ausgang: «Ich wollte einen Rock anziehen, hatte aber keine Nähmaschine. Kurzerhand klebte ich ihn zusammen.» In ihrer Diplom-Kollektion ersetzte sie dann traditionelle Nähte durch Textilklebeband, heute ein «alter Hut», wie sie sagt, doch damals neu und ungewöhnlich. So ungewöhnlich, dass sie für ihre Abschlussarbeit mit mehreren Förderpreisen ausgezeichnet wurde und viel Aufmerksamkeit erhielt. Es war der Startschuss ihrer Karriere.

Auf der internationalen Haute-Couture-Bühne

Nach dem Studium arbeitete Caviezel während fünf Jahren als Designerin bei Jakob Schlaepfer in St. Gallen, einem renommierten Produzenten von Textilien für die Haute Couture. Dort entstand auch der Kontakt zum St. Galler Luxusmodehaus Akris, denn dieses kaufte einen Druck, den Caviezel bei Schlaepfer entwarf. Für Akris selbst arbeitet sie dann fast zehn Jahre und leitete dort den Musterstoffeinkauf und die Textilentwicklung. Dabei lernte sie zahlreiche Stofflieferanten kennen. «Dies bot mir ein spannender Perspektivenwechsel. Ich reiste viel und konnte ein grosses Netzwerk aufbauen», sagt sie.

Reisen ist für Caviezel seit jeher sehr wichtig. Bereits mit 17 Jahren verbrachte sie ihr erstes Auslandsjahr in den USA. Später folgten längere Reisen nach Mexiko, in die Türkei, nach Portugal oder Shanghai. Dabei interessieren sie weniger die klassischen Touristenattraktionen, vielmehr jedoch das Eintauchen ins örtliche Handwerk. «Ich ging beispielsweise nach Anatolien, um mit lokalen Handwerkern einen Teppich zu entwickeln oder mehrere Male nach Portugal für eine eigene Keramikkollektion», sagt Caviezel. «Mit dem Reisen schenke ich mir Freiraum», erklärt sie. So auch im vergangenen Jahr. Zusammen mit ihrer Familie verbrachte sie drei Monate in Japan und arbeitete mit verschiedenen Kunstschaffenden zusammen. In Tokyo durfte sie gar eine eigene Ausstellung machen. «Die Leute nahmen sich Zeit für mich. Es war so entschleunigend», schwärmt sie.

Das Alumni-Netzwerk der HSLU

Alle Personen, die ein Studium oder eine Weiterbildung an der Hochschule Luzern abgeschlossen haben, schliessen sich im Netzwerk von HSLU Alumni zusammen. Die Member von HSLU Alumni haben Zugang zu einem exklusiven Kreis aus Absolventinnen und Absolventen, Dozierenden, aktiven Studierenden und Partnerorganisationen der HSLU, mit denen sie sich online und an verschiedenen Events austauschen können. Ausserdem profitieren sie von nützlichen Dienstleistungen und Benefits.

Die Basis-Mitgliedschaft ist kostenlos.

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Wissen, wann man loslassen muss

Nach der Geburt ihrer Tochter 2019 hat sich die Textildesignerin selbstständig gemacht. Ihr Atelier befindet sich im oberen Teil ihres Hauses in St. Gallen. Caviezels kreativer Schaffensprozess folgt dabei einem klaren Muster: Für eine gewisse Zeit lasse sie es einfach laufen. Dann käme der Moment, wo sie innehalten und entscheiden müsse, ob sie weitermache oder nicht. «Nach Jahren der Erfahrung kann ich mich auf meine Intuition verlassen und weiss, wann ich loslassen oder eben weitermachen muss», sagt sie. Sie wisse sehr schnell, ob etwas gut sei und habe keine Probleme zu entscheiden. Wenn sie doch mal an den Punkt kommt, dass der Schaffensprozess ins Stocken gerät, hilft ihr Abstand und der passende Soundtrack. Diese gäben ihr die nötige Energie, die sie dann brauche.

Die Freude am Experimentieren aus ihrer Studienzeit hat sich Caviezel in all den Jahren erhalten. Sie hat den Mut, immer wieder Neues auszuprobieren und keine Berührungsängste bezüglich Material- oder Farbwahl. Sie selbst beschreibt es so: «Ich habe das Privileg, einen Beruf zu haben, der niemandem schadet, sollte ich mal etwas ‹falsch› machen. Diese Leichtigkeit möchte ich geniessen und in meine Arbeit einfliessen lassen.»

In ihrem Haus in St. Gallen hat Claudia Caviezel ihr Atelier eingerichtet. Dort experimentiert sie, schafft Neues und hört dabei auf ihr Bauchgefühl.

Zur Person

Claudia Caviezel (*1977) ist eine renommierte Schweizer Textildesignerin und Künstlerin. In Zug geboren und aufgewachsen studierte sie Textildesign an der Hochschule Luzern. Nach Stationen bei Jakob Schlaepfer und Akris ist sie seit 2020 als selbstständige Designerin tätig. Ihre Arbeiten reichen von Stoffdesigns für internationale Modehäuser bis zu Rauminstallationen und Alltagsprodukten. Zu ihren Auszeichnungen zählen der Swiss Grand Prix Design (2016) und ein Atelier-Flex-Stipendium für Japan (2024). Sie lebt zusammen mit ihrem Partner und ihrer Tochter in St. Gallen.

https://www.caviezel.cc/

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