«Temu und Shein haben die Spielregeln verändert»

Billig, billiger, Black Friday! Doch hat der Schnäppchen-Tag in Zeiten von Onlineshopping-Plattformen wie Temu und Shein mit ihren 24/7-Rabatten überhaupt noch eine Bedeutung? Ja, sagt Matthias Schu, HSLU-Experte für E-Commerce. Aber die hiesigen Händler müssten nun noch höhere Rabatte anbieten.

Handybildschirm mit Temu-Website und Black-Friday-Angebot

Matthias Schu, jagen auch Sie am Black Friday Schnäppchen?

Berufsbedingt schaue ich genau hin, aber eher als Beobachter. Ich nutze den Tag, um ein, zwei grössere Anschaffungen zu machen, beispielsweise Elektronik- oder Haushaltsgeräte. Impulskäufe kommen selten vor. Auch die Forschung zeigt: Die besten Deals sind klar inszeniert und keine Zufallsfunde im Rabatt-Rausch.

Seit die Billig-Onlinehändler Temu und Shein auch in der Schweiz immer beliebter werden, scheinen viele Leute das ganze Jahr auf Schnäppchen-Jagd zu sein. Was macht das mit dem Black Friday?

Diese Plattformen haben die Spielregeln verändert: Was früher dem Black Friday vorbehalten war – extreme Rabatte und Gamification – gibt es jetzt täglich. Der Black Friday ist nicht mehr der einzigartige Preisschock des Jahres. Wer bei Temu ständig «90 Prozent Rabatt» sieht, lässt sich von 20 bis 30 Prozent beim klassischen Händler kaum mehr beeindrucken. Die Folge: Händler müssen mit Service, Vertrauen und Nachhaltigkeit überzeugen. Im reinen Preiswettbewerb gegen Temu haben sie auf Dauer keine Chance.

Hat der Black Friday seinen Reiz verloren?

Seinen Monopol-Reiz schon, aber nicht seine Wirkung. Konsumenten und Konsumentinnen sind rabattmüde geworden. Es gibt neben dem Black Friday den Singles Day oder die Cyber Week. Immer mehr fragen sich: Ist das wirklich ein Deal oder Marketing? Trotzdem funktioniert der Black Friday als Grossereignis. Händler bündeln ihre Marketingpower auf wenige Tage. Das erzeugt Aufmerksamkeit, Reichweite und ein grosses Suchvolumen. Der Wow-Effekt ist zwar weg, aber als Verkaufsmotor funktioniert der Effekt weiter. Übrigens: Die durchschnittliche Ersparnis bei Einkäufen am Black Friday lag 2024 bei nur 7 Prozent.

Warum fallen wir überhaupt auf Rabatte herein?

Rabatte triggern mehrere psychologische Mechanismen gleichzeitig. Die Verlustaversion etwa lässt uns lieber jetzt zugreifen als später mehr zu bezahlen. Der sogenannte FOMO-Effekt, also die «Fear Of Missing Out» und künstliche Knappheit – «Nur heute!» – erzeugen Handlungsdruck. Der durchgestrichene Originalpreis wirkt als Anker, selbst wenn er nie real war. Und schliesslich gibt es noch das Belohnungsgefühl: Wir glauben, das System überlistet zu haben. Black Friday bündelt all diese Effekte, weshalb sie emotional so stark wirken, obwohl viele Angebote rational betrachtet gar nicht so spektakulär sind.

Aber lohnt sich das Rabattspektakel für Händler überhaupt?

Der Erfolg hängt davon ab, wie professionell sie vorgehen. Wer blind Bestseller reduziert, vernichtet seine Marge. Profis nutzen den Black Friday anders: Sie räumen Ladenhüter aus, reaktivieren inaktive Kunden und gewinnen neue Kunden, die später zum Normalpreis kaufen. Es ist ein Marketing- und Kundenakquisekanal, kein Margengeschäft.

Wie bleiben Händler trotz den Rabattschlachten profitabel?

Mit cleveren Strategien: Sie gewähren Rabatte gezielt, also nur auf bestimmte Produkte mit hohen Margen. Oft beteiligen sich auch die Lieferanten an den Kosten. Anstelle von Pauschalrabatten gibt es Bundles oder Gratisversand ab einem bestimmten Mindestbestellwert. Das erhöht die durchschnittliche Warenkorbsumme. Eigenmarken mit höheren Margen werden stärker reduziert. Und: Stammkundinnen oder Newsletter-Abonnenten sehen andere Angebote als die «Spontankäuferinnen und -käufer».

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