«Think Earth». Der Titel tönt auf den ersten Blick etwas esoterisch. Doch das Unterfangen ist es mitnichten. Im Gegenteil, es ist ganz und gar bodenständig. Das Projekt vereint Forschung, Architektur und Bauwirtschaft mit einem klaren Ziel: kreislauffähig bauen mit natürlichen Materialien als echte Alternative zu Beton. Im Zentrum steht dabei Lehm: Uralt, lokal und überraschend innovativ.
Der Lehmpavillon in Horw ist mehr als nur ein Prototyp. Er zeigt, wie klimafreundliches Bauen künftig aussehen kann.
Musterbeispiel aus Lehm und Holz
Das filigran konstruierte Objekt setzt sich zusammen aus Lehm, Holz und «Oulesse» – einem Baustoff, der aus aufbereitetem, feingemahlenen Mischabbruch gewonnen wird. Diesen hat die Firma Oxara, ein Spin-off der ETH Zürich, entwickelt. Die ETH Zürich ist es auch, die das Gesamtprojekt leitet, die HSLU ist bei fünf Teilprojekten beteiligt oder federführend. Zusammen mit Sara Sherif von Oxara, Nina Hug Architektin MSc ETH und Pascal Hofer vom ATELIERWATT hat der HSLU-Architekturprofessor Stefan Wülser diesen Pavillon in Horw entworfen. Eingeflossen sind auch Elemente aus Entwürfen von Studierenden. Uwe Teutsch, Bauingenieur und seit 13 Jahren an der Hochschule Luzern (HSLU) tätig, und sein Team werden nun überprüfen, wie sich die gegossenen Lehmwände bei Wind und Wetter verhalten. Ihre Mission: Erdbasierte Materialien sollen eine echte, nachhaltige Alternative zum Bauen mit Beton werden.

Komplett zementfrei: der Pavillon Manal
Der «Pavillon Manal» auf dem Campus der Hochschule Luzern – Technik & Architektur in Horw gilt als erste bauliche Anwendung von «Oulesse»-Beton, einer zementfreien, CO₂-armen Alternative, die vom Zürcher Start-up Oxara entwickelt wurde. In der Kombination von Gusslehmwänden und gepressten Lehmsteinen (sogenannten Grünlingen) lässt sich am Pavillon das Potenzial von zementfreien Materialien erproben. Ziel dieser Art von Konstruktion ist es, den Einsatz von emissionsintensiven Materialien zu minimieren.
Kreislauftaugliche Baustoffe im Fokus
«Think Earth» erforscht deshalb neue Kombinationen, in diesem Fall sind es Lehm und Holz. Namentlich Holz hat einen grossen Vorteil: Es speichert CO2, anstatt neues zu generieren, und es ist gut rezyklierbar. «Aktuell gelangen nur rund zehn Prozent des verbauten Holzes zurück in den Baukreislauf. Deshalb untersuchen wir, wie wir mehr Holzkonstruktionen erneut nutzen können. Noch fehlen die Volumina – sowohl beim klassischen Holzbau als auch bei der Kombination mit anderen natürlichen Baumaterialien», erklärt Teutsch. Die Industrie verfügt über unzählige interessante Technologien und automatisierte Prozesse, die sie heute bei Beton anwendet. Diese sollen nun für Guss- und Stampflehm nutzbar gemacht werden. Sämtliche Lösungen sollen idealerweise kreislauffähig sein. Das heisst, die Materialien müssen bei einem Abbruch von Gebäuden trenn- und wiederverwendbar sein.

Forschung zum Lehmbau: Meine ersten Schritte im wissenschaftlichen Arbeiten
Lies im T&A Experience Blog einen Erfahrungsbericht von Iris Durrer über das Masterstudium als Chance für den Einstieg in die Forschung – und Lehm als Chance für eine nachhaltigere Bauindustrie.
Das Ziel: Fertigelemente verbauen
Im HSLU-Projekt untersucht Teutsch konkret, wie sich reine Lehmbauelemente und Holzelemente, die mit Lehm ausgegossen werden, verhalten. Ziel ist es, Bauteile zu erstellen, die vorgefertigt und dann modular verbaut werden können. Teutsch und sein Team forschen aber nicht nur an Verarbeitungsprozessen, sondern auch an der Qualitätssicherung. Dabei geht es unter anderem um die Druckfestigkeit. Auch das mechanische Verhalten steht auf dem Prüfstand. Teutsch vergleicht verschiedene Lehmbauweisen – Gusslehm, Stampflehm sowie die Hybrid-Formen von Gusslehm und Holzkonstruktionen. «Wir gehen davon aus, dass wir bis zu drei Stockwerken hoch bauen werden. Damit könnten wir gegen drei Viertel aller Wohngebäude in der Schweiz abdecken», berichtet Teutsch.

Abfall als Rohstoff
Teutsch und seine Teams arbeiten eng mit Vertretern der Bauwirtschaft zusammen. Diese haben ein direktes Interesse, nicht nur neue Bauelemente zu erstellen, sondern aus Abfällen beim Bauen oder Rückbau neue Produkte zu generieren. Ein namhafter Vertreter ist die KIBAG, eine im Bereich Baustoffe und Bauwesen tätige Unternehmensgruppe aus Zürich. «Gemeinsam mit den Forschenden streben wir eine Kreislaufwirtschaft an. Das heisst: Wir betrachten Abfälle nicht als Abfall, sondern als Rohstoffe. So gewinnen wir Baulehmmischungen primär aus dem Filterkuchen, der beim Waschen von Kies und Aushub anfällt. Dieser ist das ideale Bindemittel für den Gusslehm, der möglichst homogen und konstant zusammengesetzt sein muss. Nur so ist eine hohe Endfestigkeit und eine optimale Verarbeitung garantiert», erklärt Projektleiter Philippe Peter von Kibeco, die sich bei KIBAG dem Thema nachhaltiges Bauen widmet.

Normierung zentral
Der Weg bis zum Markteintritt ist komplex. Nicht nur ist der Kostendruck hoch – ein Kubikmeter Beton ist aktuell für CHF 180.– erhältlich, während die Holz-Gusslehm-Konstruktionen momentan noch erheblich mehr kosten. Auch ist eine Zertifizierung notwendig. Der Schweizerische Ingenieur- und Architektenverein SIA, der diese Normen erlässt, ist ebenfalls in ein Teilprojekt von «Think Earth» involviert. Hinzu kommen Fragen der Ästhetik. Beispielsweise geht es um die Gestaltung von Fassaden und Innenräumen in Gebäuden, die mit Lehm erstellt wurden. Einen Vorteil hat dieser Baustoff auf sicher: «Lehm atmet und liefert eine natürliche, gewissermassen automatische Klimatisierung. Er kühlt im Sommer und wärmt im Winter. Dies durch seine thermische Masse, die dem reinen Holzbau fehlt.»
Philippe Peter, Leiter KIBECO, KIBAG Zürich«Wir rechnen mit bis zu zehn Jahren, bis neuartige Baustoffe wie Gusslehm normiert und marktfähig sind.»
Vor- und Nachteile von Beton und Lehm als Baumaterial
Beton | Lehm |
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Festigkeit resultiert aus chemischem Vorgang (Wasser, Kies/Sand und Zement werden gemischt, sehr energieintensiver Vorgang) – günstige Herstellung direkt auf der Baustelle | Erlangt Festigkeit erst in getrocknetem Zustand – nicht auf Baustelle möglich, wegen langer Trocknungszeit (zwischen sechs Wochen und sechs Monaten) |
Recycling ist sehr energieintensiv | Natürlich vorhanden, lässt sich mit Wasser verflüssligen |
Hohe Entsorgungskosten | Natürliches Recycling |
Sehr kostengünstig (1’000 Liter Beton kosten CHF 180.-, 1’000 Liter Mineralwasser CHF 1’500.-) | Lebendiges Material – gut fürs Raumklima: kann Feuchtigkeit aufnehmen und Gerüche binden |
Extrem hohe Druckfestigkeit, die im Wohnungsbau nicht überall gebraucht wird | Druckfestigkeit reicht für dreigeschossige Bauten aus |