«Die Entwicklung bei der Blockchain-Technik schreitet gerade rasant voran»

Die Blockchain-Technologie ist mehr als Krypto-Trading und Schlagzeilen. Am Departement Informatik der HSLU in Rotkreuz hat sich während knapp drei Wochen das Who's who der Blockchain-Szene getroffen. Was dabei herausgekommen ist und wo die Blockchain in Zukunft eine grosse Rolle spielen wird, sagt HSLU-Krypto-Experte Chen-Da Liu Zhang im Interview.

Chen-Da Liu Zhang, mit der Polkadot Blockchain Academy ist eine der bedeutendsten Blockchain-Bildungsprogramme weltweit nach Rotkreuz gekommen. Hat es sich gelohnt?

Für mich war es ein echter Meilenstein, so eng mit dem Team der Polkadot Blockchain Academy zusammenzuarbeiten und die Veranstaltung hierher nach Rotkreuz zu bringen. Die Atmosphäre war sehr motivierend. Rund 100 Studierende, politische Entscheidungsträgerinnen und -träger sowie Expertinnen und Experten aus der ganzen Welt haben sich intensiv ausgetauscht. Der Unterricht dauerte täglich acht Stunden, sogar am Wochenende. Und die Teilnehmenden haben voll durchgezogen – während 18 Tagen! Das zeigt, wie stark ihr Interesse und Engagement für die Blockchain-Technologie ist.

Muss man eigentlich Informatiker oder Informatikerin sein, um mit Blockchain zu arbeiten?

Nicht unbedingt. Auch wenn die Entwicklung der Kerntechnologien spezielles Wissen in Programmierung und Informatik erfordert, ist der Blockchain-Bereich sehr breit aufgestellt. Hier spielen auch Fragen der Wirtschaft und des Rechts eine grosse Rolle. In unserem Labor arbeiten derzeit 16 Leute aus unterschiedlichsten Fachrichtungen: von Kryptografie und IT-Sicherheit über KI und Spieltheorie bis hin zu Wirtschaftsinformatik.

Teilnehmende an der Polkadot-Challenge am Departement Informatik der Hochschule Luzern.

Das Zusammenwirken scheint wichtig. Wie stark prägen einzelne Persönlichkeiten wie Gavin Wood, der als prominenter Gast an der Veranstaltung teilnahm, die Blockchain-Bewegung noch?

Wood war Mitbegründer der Kryptowährung Ethereum und solche Persönlichkeiten wie er setzen auf jeden Fall wichtige Impulse. Aber letztlich tragen viele Menschen zur Weiterentwicklung und Verbreitung der Blockchain-Technologie bei.

Welche Durchbrüche sind bereits gelungen?

Die Entwicklung schreitet tatsächlich rasant voran. Anwendungen wie Zahlungen mit Kryptowährungen oder dezentrale Finanzsysteme sind mittlerweile bekannt, aber das ist längst nicht alles. Auch in der Nachverfolgung von Lieferketten wird Blockchain immer wichtiger. Besonders spannend finde ich die Monetarisierung von digitalen Inhalten. Mit Hilfe der Blockchain können Künstlerinnen und Künstler heute sicherstellen, dass sie für ihre Werke wie Musik, Texte oder Videos fair bezahlt werden. Ein weiterer Meilenstein ist die sogenannte Tokenisierung. Dabei werden reale Vermögenswerte wie Immobilien oder Kunstwerke in digitale Einheiten umgewandelt und handelbar gemacht. Ich bin überzeugt, dass wir hier erst am Anfang stehen.

Ich bin überzeugt, dass wir hier erst am Anfang stehen.

Gibt es Dinge, die in einigen Ländern bereits umgesetzt wurden, aber in der Schweiz noch nicht oder umgekehrt?

Auf jeden Fall. Die Schweiz ist international stark positioniert. Gerade was die Anzahl von Blockchain-Start-ups betrifft, ist etwa der Kanton Zug ein echtes Schwergewicht. Aber wenn es darum geht, die Technologie in grossen Unternehmen oder öffentlichen Institutionen einzusetzen, haben andere Länder zum Teil einen Vorsprung. In den USA etwa wird Blockchain bereits in der Lieferkette grosser Konzerne oder im Gesundheitswesen produktiv genutzt. Da gibt es in der Schweiz sicher noch Potenzial.

Zuletzt wurde die Blockchain immer wieder wegen ihres hohen Energieverbrauchs kritisiert. Sind hier Fortschritte zu erwarten?

Im Gegensatz zur Kryptowährung Bitcoin sind Anwendungen auf modernen Blockchains heute sehr energieeffizient. Besonders spannend sind die Entwicklungen im Bereich des Datenschutzes, also wie man eine zusätzliche Privatsphäre-Schicht auf Blockchains aufsetzen kann. Durch neue Datenschutzgesetze wie die europäische Datenschutzgrundverordnung DSGVO oder das neue Schweizer Datenschutzgesetz DSG wird das immer wichtiger.

Was erwartet uns in Sachen Datensicherheit?

In vielen Anwendungsfeldern, etwa beim Training von KI-Systemen oder im Umgang mit sensiblen Patientendaten, stehen Unternehmen heute vor einem Dilemma: Entweder sie nutzen die Daten oder sie schützen sie. Beides gleichzeitig war bisher kaum möglich. Neue Blockchain-Lösungen, die mit modernen kryptografischen Verfahren verbunden werden, machen es möglich, Daten auszuwerten, ohne sie offenzulegen. Das ist technologisch ein grosser Schritt nach vorn und eröffnet gleichzeitig enormes wirtschaftliches Potenzial, etwa in der medizinischen Forschung, im Finanzwesen oder in der Verwaltung.

Neue Blockchain-Lösungen machen es möglich, Daten auszuwerten, ohne sie offenzulegen.

Eine Zukunftsvision ist die «dezentrale Identität». Was ist genau damit gemeint?

Dabei behalten die Nutzerinnen und Nutzer die Kontrolle über ihre persönlichen Daten, anstatt sie zentralen Stellen zu überlassen. Sie geben beispielsweise an ihren Autoversicherer nur den Teil der Daten frei, den dieser braucht; ebenso halten sie es mit ihrer Augenärztin oder ihrer Kreditkartenfirma. Sie schützen ihre Privatsphäre und behalten die Kontrolle über ihre digitalen Identitäten.

Die HSLU hat in Zusammenarbeit mit der Universität Luzern und dem Kanton Zug die «Blockchain Zug – Joint Research Initiative» gegründet. Wie profitiert die Initiative von solchen Anlässen wie der Polkadot-Konferenz?

Wir sind Teil einer internationalen Fachcommunity und pflegen intensive wissenschaftliche Kooperationen – mit Einzelpersonen, mit Top-Universitäten und Forschungseinrichtungen weltweit. Das ist wichtig, um in einem so schnelllebigen Feld wie Blockchain vorn mit dabei zu sein und mit unserer Forschung Einfluss auf die Weiterentwicklung der Technologie zu nehmen.

Wie gelingt es, Blockchain-Innovationen aus der Forschung erfolgreich in die Unternehmenspraxis zu übertragen?

Weltweit sehen wir eine zunehmende Akzeptanz der Technologie. Gleichzeitig entstehen neue gesetzliche Rahmenbedingungen. In der Praxis zeigt sich oft, dass das Potenzial der Technologie unterschätzt wird. Genau hier setzen wir an und versuchen, das Wissen aus der Forschung aktiv mit Konferenzen und Unternehmenskooperationen in die Praxis zu bringen.

Chen-Da Liu Zhang hält ein Referat zu Blockchain
Chen-Da Liu Zhang hält ein Referat zur Blockchain-Technologie am Departement Informatik.

Was bringt die Teilnahme an so einer Akademie im Polkadot-Universum den Informatik-Studierenden für ihre zukünftige Berufspraxis?

Sehr viel. Das Wissen und die Fähigkeiten, die in der Akademie vermittelt werden, lassen sich direkt in der Praxis anwenden. Viele Studierende nutzen die Gelegenheit, um eigene Projekte im Polkadot-Ökosystem weiterzuentwickeln oder sogar ein eigenes Start-up zu gründen. Besonders beliebt sind dabei Bereiche wie Gaming oder Prognosemärkte. Zweitgenanntes sind digitale Plattformen, auf denen Nutzerinnen und Nutzer den Ausgang von Ereignissen voraussagen. Technisch funktionieren sie ähnlich wie virtuelle Wettbörsen oder elektronische Wertpapiermärkte mit eigenen Mechanismen zur Preisermittlung. Andere Alumni wiederum steigen nach dem Programm in bestehende Blockchain-Unternehmen ein und arbeiten dort an der Weiterentwicklung von Codequalität oder Sicherheitsprozessen.

Wohin entwickelt sich die Blockchain-Technologie langfristig und was braucht es, damit sie ihr volles Potenzial entfalten kann?

Ich bin überzeugt, dass jede nützliche neue Technologie früher oder später ihren Platz findet, so wie es auch beim Internet war. Mit dem zunehmenden Einsatz in Unternehmen und dem Fortschritt bei Regulierung und Technik werden rein spekulative Entwicklungen abnehmen. Dafür werden wir mehr Aufmerksamkeit für Anwendungen sehen, die echten Mehrwert schaffen. Und genau das ist der richtige Weg.

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