«Ein Spital ist eigentlich nie fertiggebaut»

Spitalbau-Projekte sind immer wieder wegen Kostenüberschreitungen in den Schlagzeilen. Wie es dazu kommt, und warum sein Spezialgebiet die Rocket Science des irdischen Bauens ist, erklärt unser Spitalbau-Experte Serge Fayet im Interview.

Es darf nicht sein, dass sich der Spitalbetrieb in ein Gebäude hineinzwängen muss. Das Gebäude muss dem Spitalbetrieb dienen.

Serge Fayet, gleich zwei Schweizer Spitäler haben in den letzten Monaten von sich reden gemacht, weil sie bei einem Neu- bzw. einem Erweiterungsbau die Kosten massiv überschritten haben. Lässt sich das bei einem so grossen Projekt überhaupt vermeiden?

Oh ja – Kostenüberschreitungen sind kein Naturgesetz beim Bauen! In der Architektur gibt es traditionell zwei Königsdisziplinen: die Architektur, also das einzelne Gebäude, und den Städtebau. Ich bin der Meinung, es müsste eine dritte geben: die Preisfindung und die Preiseinhaltung.

Wo liegt denn das Grundproblem, wenn es bei Spitalbauten um die Einhaltung des Budgets geht?

Klassischerweise werden Masterpläne für Spitäler mit Fokus auf die klassischen Königsdisziplinen, also eben Städtebau und Architektur, erstellt. Das ist auch nicht falsch; es handelt sich um öffentliche Gebäude, die meist die Umgebung dominieren. Wenn wir aber die Kosten einhalten wollen, dann müssen wir von Anfang auch darauf schauen, dass Ertrag und Investition in einem finanzierbaren Verhältnis zueinander stehen. Die Voraussetzung dafür ist, dass sich sämtliche Anforderungen am Betriebsablauf im Spital orientieren – natürlich innerhalb der städtebaulichen Vorgaben. Dominiert die Perspektive des Städtebaus zu sehr, gerät der Betrieb in Geiselhaft.

Ein Spitalbau muss berücksichtigen, dass Menschen hierherkommen, die sich in einer besonders verletzlichen Situation befinden.

Das ist bei Schulhäusern oder Museen ja nicht anders.

Aber sehr viel weniger komplex. Bei einem Spital reden wir von bis zu 40 ganz unterschiedlichen Prozess-Typen, die unter einem Dach Raum finden müssen. Bei einer Schule oder einem Museum sind dies deutlich weniger. Zudem haben die medizinischen Prozess-Typen in einem Spital die Aufgabe, Leib und Leben zu schützen.

Was ist mit «Prozess-Typen» gemeint?

Von Prozess-Typen reden wir, weil jede Versorgungseinheit ihre ganz eigenen Abläufe hat. Mit Versorgungseinheiten sind grob gesagt Abteilungen gemeint, zum Beispiel eine interdisziplinäre Notfallstation, ein radiologisches Diagnostikzentrum, der Operationsbereich, ein Patientenzimmer, die Nuklearmedizin, ein interdisziplinäres Ambulatorium, eine Brandverletztenstation, eine Intensivpflegestation, eine Gebärabteilung oder Katheterlabore und viele mehr.

Dominiert der Städtebau zu sehr, gerät der Betrieb in Geiselhaft.

Und das sind erst die medizinischen Angebote. Ein Spital hat aber auch eine Hotellerie, eine Wäscherei, einen Empfang, Cafeterias, eine Apotheke, Werkstätten, Konferenzräume und vieles mehr. Neben der normalen Entsorgung fallen kontaminierte Sonderabfälle an, die speziell entsorgt werden müssen; Rettungswagen brauchen eine gedeckte Zufahrt, Polizei und Privatwagen ebenfalls. Die Ansprüche an die Räume unterscheiden sich hier von Fläche und Höhe bis hin zur gebäudetechnischen Ausrüstung wie zum Beispiel der Lüftung. Diese muss in Operationssälen ganz anders sein als in einem Stationszimmer.

Mir wird langsam schwindlig bei der Vorstellung, alle Aspekte im Blick zu behalten…

Das verstehe ich, und gerade das ist das Hochspannende an der Materie und der Grund für meine grosse Leidenschaft für Spitäler. Es ist aber noch lange nicht alles: Ein Spitalbau muss berücksichtigen, dass hier Menschen in einer besonders verletzlichen Situation hinkommen. Die Infrastruktur muss dafür sorgen, dass sie sich gut aufgehoben fühlen. Und etwas Weiteres kommt hinzu: Die Medizin macht zum Teil sehr schnelle Fortschritte, was dann wiederum bauliche Anpassungen nach sich zieht. Dessen können wir uns sicher sein. Hingegen wissen wir nicht, in welchen Bereichen genau dieser Fortschritt erfolgen wird, und was es für den Raumbedarf bedeutet. Darum ist eine hohe Flexibilität im Bereich der Räume gefordert, was eine grosse Herausforderung darstellt.

Führt die schnelle Entwicklung in der Medizin auch dazu, dass Umbaumöglichkeiten schon in der Planung einbezogen werden müssen?

Genau. Man kann fast schon sagen: Spitäler sind nie fertig, sie bauen eigentlich immer. Flexibles Bauen ist deshalb besonders wichtig. Es kann durchaus sein, dass ein Gebäude für die aktuellsten Bedürfnisse geplant wird. Sobald es steht, sind trotzdem schon wieder Änderungen angesagt.

Man kann viel Geld verschleudern, wenn strategische «Killer-Kriterien» für den Bau nicht frühzeitig erkannt werden.

Nochmals zurück zu den Kosten: wie lassen sie sich nun bei der ganzen Komplexität im Griff halten?

Berechenbar werden die Kosten dadurch, dass ein Spital zwar hochkomplex ist, aber gleichzeitig auch sehr standardisiert: Eine Radiologie zum Beispiel funktioniert überall gleich; auch die Anforderungen an ein Stations- oder ein Bettenzimmer unterscheiden sich nicht grundsätzlich. Entscheidend ist zudem, dass von Anfang an die richtigen Akteurinnen und Akteure einbezogen sind: Entscheidungstragende aus dem Spital und aus der Politik und natürlich Baufachleute. Ihnen muss klar sein, dass ein Spital nicht als repräsentativer Kunstbau angeschaut werden soll, sondern als Funktionsbau, der eine hohe Aufenthaltsqualität aufweisen muss.

Wann soll eine Spitalbauexpertin oder ein -experte sinnvollerweise beigezogen werden?

Schon bei der Ausformulierung der Anforderungen beziehungsweise der Bestellung. Das heisst: bevor ein Wettbewerb ausgeschrieben wird. Für den Wettbewerb müssen die Vorgaben zur Infrastruktur, aber auch zu den Kosten klar ausformuliert sein. Man kann viel Geld verschleudern, wenn strategische «Killer-Kriterien» für das Bauen nicht frühzeitig erkannt werden. Als Beispiel: Eine Klinik für Augenchirurgie kann nicht auf einem Grundstück stehen, das durch unterirdischen Verkehr erschüttert wird. Das muss abgeklärt sein, bevor sich Architektinnen und Architekten an die Planung machen. Es darf nicht sein, dass sich der Spitalbetrieb in ein Gebäude hineinzwängen muss. Das Gebäude muss dem Spitalbetrieb dienen.

CAS Strategische Spitalbauplanung

Ab 21. Oktober 2025 bietet die Hochschule Luzern den neuen CAS Strategische Spitalbauplanung an, dessen Leiter Serge Fayet ist. Vermittelt werden darin Kenntnisse über innovative und zukunftsorientierte Ansätze in der Planung von Gesundheitsbauten. Der Fokus liegt auf den Wechselwirkungen zwischen betrieblichem und baulichem Masterplan, die gemeinsam und parallel entwickelt werden müssen. So wird sichergestellt, dass bauliche Massnahmen präzise auf die betrieblichen Bedürfnisse abgestimmt sind und das gebaut wird, was tatsächlich notwendig ist – kosteneffizient, flexibel und anpassungsfähig.

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