Der Wecker klingelt. Aufstehen, zur Kaffeemaschine, mit einem Espresso in den Tag starten: ein weit verbreitetes Morgenritual. Kaum jemand wird sich zu diesem Zeitpunkt überlegen, wie es um die CO2-Bilanz seiner Kaffeemaschine steht.
Anders ist das bei Matteo Trachsel, Leiter Nachhaltigkeit bei der Thermoplan AG. Das Unternehmen ist im Luzernischen Weggis beheimatet und stellt für internationale Kunden in der Gastronomie und im Gewerbe Kaffeevollautomaten her – seit 1999 etwa als weltweiter Exklusivlieferant von Starbucks. «Wir suchen immer nach Möglichkeiten, Energie und Emissionen zu sparen», erklärt Trachsel. Ob bei Produktmaterialien, in der Vertriebslogistik oder bei der Mobilität der Mitarbeitenden. «Das grösste Potential haben wir, indem wir den Stromverbrauch unserer Kaffeemaschinen während der Nutzungsphase senken.» Ein paar LED-Lampen und velofahrende Mitarbeitende reichen mit dem Blick aufs grosse Ganze eben nicht aus. Trachsel ist überzeugt: «Für Unternehmen ist es enorm wichtig zu wissen, wo die entscheidenden CO2-Emissionen anfallen. Und sie dürfen keine Berührungsängste haben, diese anzugehen.»
Thermoplan ist damit schon weit auf einem Weg, den viele Unternehmen noch vor sich haben. Insbesondere in KMUs fehlt dafür jedoch oft das nötige Fachwissen. Aus diesem Grund hat die Hochschule Luzern die Weiterbildung «Netto-Null in Unternehmen» entwickelt. Darin ist Thermoplan eines von mehreren Praxisbeispielen, von denen die Teilnehmenden lernen können.
Wegweisend punkto Nachhaltigkeit
Das KMU in Weggis ist eines jener Zentralschweizer Unternehmen, das sich klar zu Nachhaltigkeit verpflichtet hat. 2021 steckte Thermoplan sich das Ziel, bis 2050 ein «Netto-Null» zu erreichen – also nicht mehr CO2 in die Atmosphäre auszustossen, als durch natürliche und technische Speicher wieder aufgenommen werden kann. Das Unternehmen berücksichtigt in seiner Ökobilanz aber nicht nur den direkten CO2-Ausstoss, beispielsweise durch eigene Fahrzeuge oder Produktionsmaschinen verursacht, sondern auch sogenannte indirekte Emissionen. Das sind Emissionen der vor- und nachgelagerten Wertschöpfungskette: Also solche, die bei der Herstellung eingekaufter Materialien, beim Abbau der benötigten Rohstoffe oder eben durch den Energieverbrauch der verkauften Kaffeevollautomaten anfallen.
Die Fäden der ambitionierten Klimastrategie laufen bei Matteo Trachsel zusammen. Der Maschinentechnik-Absolvent der Hochschule Luzern koordiniert und überwacht sämtliche Massnahmen, die in Zusammenhang mit dem Netto-Null-Ziel stehen. Seine technischen Kenntnisse und sein Datenverständnis kommen ihm dabei zugute. Noch wichtiger für seine Funktion sind aber Offenheit und Wissensdurst, um sich in komplexe Ausgangslagen einzudenken, gemeinsam mit Fachspezialistinnen und -spezialisten an nachhaltigen Lösungen zu tüfteln und Veränderungen ins Rollen zu bringen.
Zahlenbasierte Fakten als Grundstein
Umgesetzt werden die konkreten Massnahmen von den einzelnen Bereichen – wie der Produktion, der Logistik oder der Forschung & Entwicklung. Auf einem interaktiven Dashboard verfolgen die Mitarbeitenden, wie gut die einzelnen Massnahmen funktionieren. Es zeigt sämtliche Emissionen, die in die Ökobilanz von Thermoplan einfliessen, im Zeitverlauf und im Verhältnis zum geplanten Absenkungspfad.
Die saubere Analyse des IST-Zustandes sei der Grundstein gewesen, so Trachsel. «Erst mit zahlenbasierten Fakten kann man wirkungsvolle Massnahmen Richtung Netto-Null in die Wege leiten», betont er. Zudem hat sich das Unternehmen bewusst dafür entschieden, Wissen im Bereich Nachhaltigkeit intern aufzubauen: Nebst Trachsel arbeiten weitere «Nachhaltigkeitsleader» in den verschiedenen Themengebieten. «Das macht uns einerseits agiler, andererseits ist es ein Mehrwert für die Kundinnen und Kunden. Wir können sie direkt und umfassend beraten, mit ihnen über energiesparende Innovationen sprechen», so Trachsel.
Knacknuss Kulturwandel
Genau dieses interne Know-how will auch Christine Bratrich, Nachhaltigkeitsexpertin am Departement Technik & Architektur der Hochschule Luzern, in Schweizer Unternehmen fördern. Gemeinsam mit einem Team aus allen sechs HSLU-Departementen hat sie den neuen Master of Advanced Studies (MAS) «Netto-Null in Unternehmen» entwickelt. Start ist im Januar 2024. «Gerade in KMUs fehlt es oft an Fachkräften, die eine Netto-Null-Strategie erstellen und erfolgreich umsetzen können», sagt Bratrich, «dabei wären genau diese jetzt gefragt, wenn wir unsere Klimaziele erreichen wollen.» Bratrich ist überzeugt: «Wer einen Betrieb und dessen Kultur bereits gut kennt, hat entscheidende Vorteile: Ein Insider kann auf interne Akzeptanz bauen und eine Netto-Null-Strategie besser vorantreiben.» In vielen Unternehmen brauche es ein Umdenken – oder gar einen Kulturwandel – um sich konsequent auf Nachhaltigkeit auszurichten. «Häufig ist dies die grösste Knacknuss», fasst Bratrich zusammen. Deshalb vermittelt der MAS unter anderem Führungskompetenzen und Methoden, um den Veränderungsprozess in Unternehmen anzustossen und zu begleiten.
Auch Matteo Trachsel bestätigt aus Erfahrung: «Nachhaltigkeit muss im ganzen Unternehmen gelebt werden – von der Führungsetage bis zu jedem einzelnen Mitarbeitenden». Deshalb gibt es bei Thermoplan etwa interne Kommunikationskampagnen und Schulungen, die gut ankommen. «Es motiviert mich zu spüren, wie sehr sich die Mitarbeitenden mit dem Thema identifizieren», sagt Trachsel. Wichtig sei es, die Wirksamkeit von Klimaschutzmassnahmen auch nach innen immer wieder hervorzuheben. Vielversprechende Projekte gibt es zuhauf: Erst kürzlich entwickelten Informatik-Studierende der HSLU im Auftrag von Thermoplan einen intelligenten Standby-Modus für Kaffeemaschinen. Er könnte den Energieverbrauch einer Maschine um rund 15 Prozent reduzieren.
Studierendenprojekt: Eine Kaffeemaschine lernt Energie sparen
Die Informatik-Studenten Andrin Meier und Tobias Heller setzten in ihrem vierten Bachelor-Semester ein Projekt für Thermoplan um. Ihre Aufgabe bestand darin, ein Machine-Learning-Modell zu entwickeln – ein IT-System, das mithilfe von Daten automatisch Muster und Zusammenhänge «lernt». Dieses sollte vorhersagen können, wann eine Kaffeemaschine genutzt wird und wann nicht. Zu ungenutzten Zeiten sollte sie in den Standby-Modus versetzt werden, um den Energieverbrauch zu senken.
Im Rahmen seiner Bachelor-Arbeit verfolgte Andrin Meier das Thema weiter, entwickelte und testete sogar einen Prototyp für den «Smart-Standby». Thermoplan plant, das Modell innerhalb der eigenen Forschungsabteilung weiter zu optimieren und in die Praxis umzusetzen.
«Netto-Null» kommt an
Aller Euphorie zum Trotz: Wo liegen die Herausforderungen, denen man als Netto-Null-Beauftragter einer Produktionsfirma begegnet? «Wir sind darauf angewiesen, dass auch unsere Kunden das Thema Nachhaltigkeit bearbeiten», sagt Trachsel. «Wir können nicht im stillen Kämmerlein Produkte entwickeln, die gar niemand will», ergänzt er. Die meisten Grosskunden profitieren jedoch von der Nachhaltigkeitsinitiative ihres Lieferanten: Sie stehen ebenfalls in der Pflicht, ihren Fussabdruck zu minimieren. Ein Ziel von Thermoplan ist es, die bisherigen Erfahrungen anderen Firmen weiterzugeben, sagt Trachsel – etwa als Best-Practice-Beispiel im MAS Netto-Null. «Wir möchten mit dem eigenen Netto-Null-Fahrplan etwas global an die Erde zurückzugeben, aber auch ganz lokal an die heimische Wirtschaft.»