Beton ist heute der wichtigste Baustoff der Welt. In absehbarer Zeit wird sich das auch kaum ändern, obschon er ökologisch nicht unproblematisch ist. Eines der Probleme: Bei der Herstellung des Bestandteils Zement werden grosse Mengen CO2 emittiert. Ein weiteres Problem: der hohe Bedarf an Sand und Kies, Rohstoffe, die knapp werden. Wo Beton nicht ersetzt werden kann, gilt es also, seine Herstellung möglichst zu optimieren. Daran forschen Expertinnen und Experten weltweit. – Doch auch im All werden Experimente gemacht, deren Ergebnisse möglicherweise für den Bau irdischer Häuser genutzt werden können. So geschehen Anfang Februar dieses Jahres auf der internationalen Raumstation ISS. Mit dabei: Das Kompetenzzentrum BIOTESC der Hochschule Luzern in Hergiswil, bei einem Gemeinschaftsprojekt des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR), der Universität Duisburg-Essen (UDE) und der Universität zu Köln.
Erkenntnisse für das Bauen auf der Erde und auf dem Mond
«Die Experimente auf der ISS sollen helfen, die Beton-Erhärtung besser zu verstehen und so letztlich dazu beitragen, andere, umweltfreundlichere Zusammensetzungen des Materials zu entwickeln, ohne dass dessen positiven Eigenschaften darunter leiden», sagt Prof. Dr.-Ing. Martina Schnellenbach-Held vom Institut für Massivbau der Universität Duisburg-Essen. Sie erläutert: «Physikalische und chemische Prozesse führen zur Erhärtung von Beton. Auf der Erde erfolgt dies auch unter dem Einfluss der Schwerkraft. Mit dem Experiment auf der ISS können wir diesen Einfluss eliminieren und so seine Rolle im Erhärtungsprozess besser verstehen.»
Das Experiment hat jedoch noch eine ausserirdische Komponente: Es gibt Pläne einer permanenten Präsenz auf Mond und Mars. Dies würde Stationen voraussetzen, deren Material solide sein muss, und zwar bei wesentlich geringerer Schwerkraft, als sie auf der Erde vorherrscht. Auch dafür sind die auf der ISS gewonnenen Erkenntnisse von Interesse.
Draht ins All
Das Kompetenzzentrum BIOTESC in Hergiswil gehört zum Institut für Medizintechnik der Hochschule Luzern und betreut im Auftrag der Europäischen Weltraumorganisation ESA Experimente auf der internationalen Raumstation ISS. Die Expertinnen und Experten des BIOTEC planten also das Experiment und führten es zunächst selbst durch. Dazu erstellten sie eine genaue Anleitung zur Versuchsdurchführung, damit alles auch später unter Weltraumbedingungen funktioniert. Schliesslich musste die Hardware zusammengebaut, befüllt und verpackt werden, was wiederum in den Labors der Hochschule Luzern in Hergiwil geschah. Von da gingen die fertigen Versuchsbehälter nach Turin, ins Logistikzentrum der ESA, die ihrerseits überprüfte, dass die Hardware in einwandfreiem Zustand ist, und den Standards der Raumfahrt genügt. Und schliesslich wurde alles nach Amerika geflogen. Von Cape Canaveral aus ging es dann via Rakete zur ISS, wo das Experiment am 1. Februar durchgeführt wurde. Hier schloss sich der Kreis in die Schweiz, denn begleitet wurde das Experiment durch die Expertinnen und Experten der Hochschule Luzern. Dafür sassen sie im Kontrollraum in Hergiswil mit seinen 24 Bildschirmen, beobachten, geben Anweisungen und scherzten zwischendurch auch mal kurz mit dem Astronauten.
Beton mischen unter höchsten Sicherheitsvorkehrungen
Bernd Rattenbacher hat schon zahlreiche Experimente begleitet. Dasjenige vom 1. Februar 2022 war für ihn jedoch speziell. Dies deshalb, weil das BIOTESC normalerweise die Vorbereitung und Betreuung bei Experimenten auf der ISS im Auftrag der ESA für andere durchführt. In diesem Fall jedoch war Rattenbacher selbst in das Konzept und Design des Versuches involviert, insbesondere in die Entwicklung der Gefässe, in denen der Beton gemischt wird.
Die Herausforderung: Die Sicherheitsstandards für Experimente auf der ISS sind nochmals um ein Vielfaches höher als diejenigen auf der Erde – nicht auszudenken, welche Folgen ein kleiner Fehler wie die Verbreitung von Zementstaub auf der Raumstation 400 Kilometer von der Erde entfernt haben könnte! Drei Sicherheitsstufen waren deshalb gefordert: Um jede Abteilung des Gefässes gibt es eine weitere, die standhält, sollte die erste Sicherung versagen. Die dritte Absicherung bietet ein Plastikzelt, in dem gearbeitet wird. Mit dieser dreifachen Absicherung machte sich Mattias Maurer also ans Werk. Er löste die Fixierung der Container injizierte die Flüssigkeit mit einer Spritze in das Materialgemisch. 64-mal tat er dies, da jeder Container eine andere Mischung enthielt, manche davon mit künstlichem Mondstaub im Hinblick auf eine mögliche permanente Präsenz auf dem Mond.
Auf der Website der ESA kann man Mattias Maurer beim Betonmischen zuschauen.
Keine schnellen Ergebnisse
Auf das Resultat wird man allerdings noch eine Weile warten müssen. Erst mit dem nächsten Flug im Juli kommen die Betonproben dann zurück auf die Erde. Hier nehmen die Expertinnen und Experten die Proben von der ISS genauestens unter die Lupe und vergleichen sie mit Proben, die zu diesem Zweck auf der Erde hergestellt worden sind: Die Betonprobekörper werden mit Hilfe eines Computertomographen ausgewertet, mit dem Mikroskop untersucht und Druckfestigkeitstests unterzogen.
In der Zwischenzeit läuft in Deutschland schon ein Patentverfahren für die Container. Denn sie wurden zwar für Beton entwickelt, können jedoch auch für weitere Versuche in der Schwerelosigkeit verwendet werden. «Darin kann alles Material gemischt werden, das eine feste und eine flüssige Komponente hat», sagt Bernd Rattenbacher. Und freut sich auf weitere Experimente.