Wenn Forschende der Hochschule Luzern sich in die Minen begeben, dann hat das nichts mit Kohle oder Edelmetallen zu tun. Bei ihren Wirkungsorten handelt es sich vielmehr um Social-Media-Plattformen. Hier suchen sie nach verwertbaren Daten.
Social Media Mining nennt sich diese junge Disziplin der sozialwissenschaftlichen Datenanalyse. Angewandt haben sie Informatiker Michael Kaufmann und Tourismus-Experte Jürg Stettler auf den chinesischen Reiseblog «Qyer». In seiner Studie untersuchte das Forschungsteam, welche Qyer-Nutzerinnen und -Nutzer sich für welche Schweizer Destinationen interessieren.
«Unsere automatisierte Analyse bietet eine Alternative zu traditionellen Erhebungen im Tourismus wie Umfragen», sagt Erstautor Michael Kaufmann. Der Branche biete sie eine neue Grundlage, um Marketingmassnahmen zu entwickeln, die besser auf die Interessen der Reisenden abgestimmt seien.
Riesiges Wachstum bei Chinesischen Touristen
«Qyer» ist nach eigenen Angaben mit rund 90 Millionen Nutzerinnen und Nutzern die grösste Plattform für Chinesen, die im Ausland Ferien machen. Sie richtet sich insbesondere an Individualreisende, die darauf Reiseberichte, Tipps, Fotos und Kommentare veröffentlichen können.
Dass eine chinesische Plattform als Untersuchungsgegenstand gewählt wurde, ist kein Zufall, wie Jürg Stettler, Tourismusforscher und Co-Leiter der Studie, erläutert: «Chinesinnen und Chinesen gehören zu den Top Vier der ausländischen Touristengruppen in der Schweiz. Im letzten Jahrzehnt nahmen die Übernachtungen hierzulande um 500 Prozent auf fast 1.4 Millionen zu.»
Die rapide wachsenden Touristenzahlen und der damit einhergehende Druck auf bekannte Destinationen werden derzeit unter dem Stichwort «Overtourism» heiss diskutiert. Stettler hofft, dass sich die Touristenströme besser verteilen, wenn man die Reisenden gezielt auf alternative Angebote aufmerksam macht.
Marketing für «Entdeckerinnen und Entdecker»
Die Forschenden untersuchten 15’000 Qyer-Einträge mit Bezug zur Schweiz. Davon befassten sich über 60 Prozent mit lediglich vier Orten: Luzern, Zürich, Interlaken und Genf, wobei Luzern deutlich vorne liegt. Die Stadt in der Zentralschweiz wird mit über 3’700 Erwähnungen so oft genannt, wie Zürich und Interlaken zusammen. Anhand weiterer Daten wie der Anzahl Follower, ihrem Alter und ihrem Geschlecht segmentierte das Forschungsteam die Nutzerinnen und Nutzer der Plattform. «Wir nutzten nur öffentlich einsehbare Daten und haben diese für unsere Studie anonymisiert», betont Michael Kaufmann.
Ergebnis der Analyse: Rund 60 Prozent der erfassten Personen erwähnten lediglich einen Ort. Diese haben auch tendenziell keine oder nur wenige Follower. Eine Minderheit interessierte sich hingegen neben den Tourismusmagneten auch für weniger bekannte Destinationen. Diese Gruppe hat das Forschungsteam näher unter die Lupe genommen. Es zeigte sich, dass diese Weltenbummler besonders oft Beiträge verfassen und viele Follower aufweisen.
Laut Jürg Stettler sind diese «Entdeckerinnen und Entdecker» damit als potenzielle Zielpersonen für Marketingmassnahmen bestens geeignet. «Mit ihren Beiträgen erreichen sie viele Personen und beeinflussen diese bei der Wahl der Reiseziele», sagt er. «Sie könnten ihre Follower dazu ermuntern, auch einen Abstecher nach Willisau zu machen, statt nur Selfies vor der Kapellbrücke zu schiessen.»
Die Studie der Hochschule Luzern wurde vom Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) des Bundes und von der Firma Zug Estates AG unterstützt. Sie ist in der Fachzeitschrift «ISPRS International Journal of Geo-Information» erschienen.