Aus den Lautsprechern im Musikzimmer der Kantonalen Mittelschule Uri in Altdorf dröhnt «Believer» der US-amerikanischen Band Imagine Dragons. Die Schülerinnen und Schüler der Klasse 3b sitzen im Halbkreis, hören zu, wippen mit Füssen im Takt. Nach zwei Minuten schaltet Florian Hoesl das Lied aus und stellt sich vor die Schülerschaft. «Was fühlt ihr, wenn ihr diesen Sound hört?», fragt der Musikpsychologe der Hochschule Luzern.
«Der Beat ist catchy», antwortet Gymnasiastin Delia Bissig. «Ich wippe automatisch mit dem Fuss.» Hoesl nickt. Die Schülerin hat unbewusst den «Groove» beschrieben: Es ist der Drang, den Musik in uns auslöst, uns dazu im Takt zu bewegen – in Form von Mitnicken, mit den Fingern schnippen, tanzen oder eben mit dem Fuss wippen. Weltweit sind Musikforschende wie Florian Hoesl dem Phänomen auf der Spur.
Die Groove-Forschung dreht sich darum, welche Musik wir als «groovig» empfinden und welche nicht. Die Erkenntnisse aus der Groove-Forschung bilden inzwischen die Basis für diverse Anwendungen: An der HSLU wird derzeit beispielsweise eine Musik-basierte Therapie für Parkinson-Erkrankte entwickelt. Hoesl selbst untersucht in seiner Doktorarbeit, wie der gezielte Einsatz des Groove-Effekts Musikerinnen und Musikern beim Üben unterstützen kann.
Die Groove-Forschung an der HSLU
Die Groove-Forschung ist ein Schwerpunkt am Departement Musik der Hochschule Luzern. Forschende versuchen zu verstehen, wie die Mechanismen der musikalischen Bewegungsanregung funktionieren.
Die Ursachen für den Groove-Effekt liegen noch weitgehend im Dunkeln. Jüngere Forschungsresultate – auch von Projekten an der HSLU – zeigen, dass der musikalische Geschmack der Hörerinnen und Hörer sowie ein für sie interessanter Rhythmus besonders zentral sind. Eine Art Universal-Sound, den alle Menschen gleichermassen als groovig empfinden, gibt es demnach nicht.
Musikpsychologinnen und -psychologen nutzen Erkenntnisse aus der Forschung beispielsweise, um Sportlerinnen und Musikern effizientere Übungsstrategien zu vermitteln. Der Groove kommt auch im Gesundheitsbereich zum Einsatz: Musikforschende der HSLU tüfteln an neuen Therapien für Parkinson-Betroffene auf Basis ihrer Lieblingsmusik. Das entsprechende Projekt «Music, Movement, Mood & Parkinson’s» wird im Frühjahr 2025 abgeschlossen.
Das Gehirn lässt uns nicht zufällig tanzen
Im HSLU-Projekt «Groovy Drum Beat» steht hingegen eine ganz andere Frage im Zentrum: Wie kann man dieses komplexe Thema jungen Menschen ohne wissenschaftliches Vorwissen möglichst effektiv vermitteln? Mitentwickelt hat es Florian Hoesl.
«Musik ist überall, Milliarden Menschen hören sie täglich», sagt der Forscher, privat ein passionierter Schlagzeuger mit eigener Band. Er möchte den Schülerinnen und Schüler aufzeigen, dass auch etwas Alltägliches und Kommerzielles mit den Mitteln der Forschung auf Herz und Nieren untersucht werden kann. «Sie sollen verstehen: Wenn ein Lied im Radio uns berührt oder wenn wir auf einer Party dazu tanzen, dann geschieht das nicht zufällig. In unserem Hirn laufen dabei komplexe Vorgänge ab.»
«Groovy Drum Beat» besteht aus einer Serie von Workshops, die Hoesl seit Frühling 2024 an Zentralschweizer Mittelschulen durchführt. In der Mittelschule in Altdorf ist er schon zum fünften Mal. An jedem Workshop arbeitet er mit einer anderen Klasse zusammen. Mitmachen statt nur Zuhören lautet dabei die Devise: Hoesl skizziert zunächst die Grundlagen der Groove-Forschung. Dann hört er mit den Gymnasiastinnen und Gymnasiasten Songs wie «Believer» und lässt sie dazu mitklatschen und -stampfen, um den Groove so stark wie möglich zu fühlen.
Am Computer zum perfekten Beat
Das Herz eines jeden Workshops bildet das Komponieren. Die Schülerinnen und Schüler kreieren mithilfe eines sogenannten Sequenzers ihre eigenen Beats. Das Online-Programm simuliert diverse Schlagzeuge. Per Mausklick fügt man Schläge hinzu oder ändert Takt und Tempo. Aufgabe ist, einen Rhythmus zu komponieren, der in den Jugendlichen den Groove weckt und einen, der sie kalt lässt.
Florian Hoesl erläutert die im Programm enthaltenen Schlagzeug-Fachbegriffe wie «Hi-hat», «Snare» und «Kick». Dann geht’s an Werk: Die Gymnasiastinnen und Gymnasiasten verteilen sich in kleinen Gruppen im Zimmer und auf dem Schulflur. Es wird still – die Jugendlichen arbeiten nur mit Kopfhörern, damit der Lärmpegel im Rahmen bleibt.
Das Projekt mitinitiiert hat Marius Brunner. Der Musiklehrer ist immer mit an den Urner Workshops dabei. Er traf Florian Hoesl im Rahmen eines privaten Musikprojekts und war sofort fasziniert von dessen Forschung. Für die Schülerinnen und Schüler sei es grundsätzlich nützlich, mehr über den Groove zu erfahren, weil das Phänomen für sie alltäglich sei, so der Lehrer. «Aber wenn sie das Gelernte quasi in eigene Musik einfliessen lassen, bleibt es natürlich besser hängen.»
Workshops als Türöffner
Nach einer halben Stunde ruft Marius Brunner seine Schützlinge zurück ins Zimmer. Ihre Kreationen laden sie auf eine Online-Plattform hoch. Die Bandbreite der Beats reicht von simpel, mit nur wenigen Instrumenten, bis verspielt und vielschichtig. «Wir haben uns an Songs orientiert, die wir gerne hören», sagt Gymnasiastin Delia Bissig. Sie und ihr Kollege wandelten ihren Beat durchs Einbauen von Unregelmässigkeiten ab, bis das Ergebnis überzeugte.
Die Vielfalt der eingereichten Beats bestätigt die bisherigen Forschungsergebnisse, wonach der persönliche Musikgeschmack das Groove-Empfinden massgeblich beeinflusst, wie Florian Hoesl erläutert. Er und Marius Brunner freuen sich über die Experimentierfreude der Jugendlichen.
Die Workshops bereichern den Unterricht enorm, wie der Lehrer sagt: «Schülerinnen und Schüler mit Erfahrung im Musizieren entdeckten eine neue Ebene ihres Hobbys. Und Jugendlichen, die bisher keine Berührungspunkte mit dem Musikmachen hatten, öffnet das Projekt die Tür in eine neue Welt.»