Emmenbrücke bei Luzern, Anfang Juli 2021: Mitten auf dem Seetalplatz stehen Traktoren, hölzerne Zirkuswagen und eine kunstvoll bemalte alte Schaubude. Es handelt sich um die älteste fahrende Varietébühne der Schweiz mit Jahrgang 1947. Seit 2020 gehört sie einem Verein, der von Claudia Kienzler, einer Absolventin der Hochschule Luzern – Musik, ins Leben gerufen wurde. Jetzt heisst der zauberhafte Veranstaltungsort «Varieté Caleidoskop».
Spieldosen bauen und Clowns pieksen
Im Innern ertönt ein Klappern und zwischendurch spielt auch eine Geige. Claudia Kienzler und Christoph Spielmann, ihr Bühnen- und Lebenspartner, proben. Letzterer jongliert clownesk mit rechteckigen Holzschachteln und Claudia begleitet ihn auf der Violine, doch dann – zack! – sticht sie ihm mit dem Geigenbogen fast ins Auge. Mit Absicht notabene. Denn die Musikerin, die durchaus in einem klassischen Orchester Karriere hätte machen können, liebt es auch zu schauspielern, eigenhändig eine Musikdose mit Grammophonlautsprecher zu bauen oder mit ihrem Partner als nicht sehr effizientes, dafür umso komischeres Kellnerpaar aufzutreten.
Kienzler hat Radiosendungen moderiert, tanzt und unterrichtet Fachdidaktik Violine und Viola an der Hochschule Luzern. Sie spielt im «21st Century Orchestra», das im KKL Luzern Hollywoodfilme live vertont und ist Mitglied des «Ensemble Montaigne». Und sie komponiert: zum Beispiel Lochkartenmelodien für die zuvor erwähnte Musikdose oder moderne Stücke wie «2018 NASA – 13 Ringe des Uranus 1804», inspiriert durch die Tonfrequenzen, die von Planeten ausgehen.
Als Theaterdirektorin durch die Pandemie
Ihre Vielseitigkeit brachte die Künstlerin für drei Jahre als Artistin zum «Broadway Variété». Nachdem dieses Tourneetheater 2018 geschlossen wurde, initiierte Kienzler die Gründung des Vereins Varieté Caleidoskop, der das Zelt kaufte. Ihr Ziel: Hinter der nostalgischen Holzfassade gemeinsam mit einem professionellen Ensemble Artistik, Musik, Tanz, Theater, Komik und Kulinarik zu verbinden. «Spiel- und Verzehrtheater» steht in grossen Lettern über der Eingangstür der Schaubude. Damit führt sie das Konzept ihrer Vorgänger weiter.
Doch aus dem geplanten Saisonstart im Frühling 2021 wurde nichts. Die Covid-19-Pandemie forderte dem Team finanziell und planerisch alles ab. Glücklicherweise schaffte es der Verein während einiger Wochen im Frühjahr ein erfolgreiches Crowdfunding auf die Beine zu stellen. Lohn konnte sich Kienzler keinen ausbezahlen. «Zum Glück brauche ich wenig», meint sie, «sonst hätte ich das nicht geschafft». Sie lebt einen Steinwurf vom Seetalplatz entfernt in einem umgebauten Bauwagen.
Künstlerisches Amuse-Bouche im Spätsommer
Ende August soll es nun endlich losgehen: Kienzler und Spielmann haben entschieden, als «Duo Ferkori» Varieté-Abende zu gestalten. «Mit reduzierten Zuschauerplätzen und verkürzter Spielzeit ein grösseres Ensemble zu finanzieren und organisieren, das wäre zu diesem Zeitpunkt schlicht nicht mehr machbar gewesen», sagt Kienzler. Jedes Spielwochenende wird ein anderer Koch im Varieté für Gaumenfreuden sorgen. Dies aber nur unter der Voraussetzung, dass Corona dem Künstlerpaar nicht erneut einen Strich durch die Rechnung macht, und dass der Geigenbogen auch wirklich immer rechtzeitig vor dem Auge abbremst.